ANWENDERBERICHT

Wie das eVTOL-Startup LIFT in weniger als 13 Monaten mit additiver Fertigung abheben konnte

7 Min. Lesezeit

Das HEXA-Flugzeug von LIFT landet vor einer Brücke mit einem Sonnenuntergang im Hintergrund

Sicherheit und Schnelligkeit bei der Innovation. Zwei Konzepte, die bekanntermaßen schwer in Einklang zu bringen sind, vor allem, wenn es um die Luftfahrt geht. Nicht so bei dem in den USA ansässigen eVTOL-Unternehmen LIFT Aircraft Inc. Dieses Startup hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Fliegen für alle zugänglich zu machen. Und sie sind auf dem besten Weg, dies mit HEXA zu erreichen – einem neuen Flugzeugtyp, den jeder fliegen kann.

Herausforderung

Als Erster auf dem Markt ohne Kompromisse bei der Sicherheit

Es ging LIFT nie darum, ein besonders schnelles Fluggerät zu entwickeln. Stattdessen war das Ziel, in kurzer Zeit ein sicheres eVTOL-Fluggerät für die städtische Mobilität zu konzipieren. Doch damit stand das Unternehmen vor einer großen Herausforderung: Wie lassen sich Sicherheit, Planbarkeit und Entwicklungsgeschwindigkeit erfolgreich kombinieren, um diese Ziele zu erreichen?

„Viele verschiedene Technologien sind inzwischen ausgereift und greifen ineinander, so dass jetzt genau der richtige Zeitpunkt für diese Art von Geschäft ist“, erklärt CEO Matt Chasen. „Der 3D-Druck ist eine davon.“

Mann repariert einen Propeller am LIFT-Flugzeug
Der HEXA wird von 18 Motoren und Batterien angetrieben.

Dieses Vertrauen in neuere Technologien war mehr als nur ein nachträglicher Einfall. Es war von Anfang an Teil des Projekts.

„Die ersten Überlegungen gingen dahin, Grundlagentechnologien und neue Fertigungstechnologien zu nutzen, um Design-Iterationen so schnell wie möglich zu realisieren“, sagte Balazs Kerulo, Chefingenieur bei LIFT. „Aus diesem Grund haben wir das Materialise-Team schon sehr früh einbezogen.

„Gleichzeitig begann ich, mich mit Software für generatives Design zu beschäftigen. Ich wollte möglichst viele Designoptionen innerhalb bestimmter Parameter entwickeln, um diese dann immer weiter zu verfeinern. Generatives Design passt sehr gut zum 3D-Druck, weil auch hier die Einschränkungen traditioneller Fertigungsverfahren wegfallen.“

Durch die leistungsstarke Kombination aus 3D-Druck und generativem Design konnten Balazs Kerulo und sein Team, Bauteile in kürzester Zeit drucken, testen und fein abstimmen, sodass sich von Prototyp zu Prototyp besonders große Innovationssprünge realisieren ließen.

Schon früh erkannte das Team, dass eine Einstufung ihrer Fluggeräte als 'Ultraleichtflugzeuge' in den USA die ideale Strategie für die Markteinführung war. eVTOLs, die als Ultraleichtflugzeuge eingestuft werden, benötigen keine FAA/EASA-Zertifizierung und keine Pilotenlizenz zum Fliegen. Das passt perfekt zur Strategie von LIFT, das Fliegen zu demokratisieren.

Allerdings sind mit diesem Weg andere erhebliche Herausforderungen verbunden. Vorrangig geht es um eine Minimierung des Gewichts, um einerseits die Klassifizierung zu erfüllen, ohne andererseits Kompromisse bei der Sicherheit einzugehen.

„Wir haben einen verteilten Antriebsstrang. Das heißt, wir haben 18 Motoren und 18 Batterien“, erklärt Balazs Kerulo. „Das ist gut für die Sicherheit, bedeutet aber auch, dass jedes Teil des Antriebsstrangs von Gewicht her 18‑fach zu Buche schlägt.“ 

Hinzu kam noch die Aufnahme von ENDY. Dieses Bauteil ist insofern einzigartig, als es einzig und allein dazu dient, die kritischsten Verbindungen des HEXA-Rotorflugzeugs für den Ernstfall zu verstärken: Es sichert die strukturelle Integrität während der Fallschirmöffnung, falls der Pilot eine Notlandung durchführen muss. Wenn der Fallschirm aktiviert wird, können die Sprengstoffkanister des Fallschirms die Flugzelle einer momentanen Belastung von bis zu 11,5 G aussetzen – vergleichbar mit der eines Weltraumstarts. Für Sekundenbruchteile wiegen die Krone und ihre Antriebsbatterien fast zwei Tonnen. Daher ist es wenig überraschend, dass man sechs ENDYs benötigt, um die Struktur in einem solchen Fall zusammenzuhalten und zu verhindern, dass die oben liegenden Propeller abreißen und dem Piloten zu nahe kommen, während sie sich noch drehen.

„Es leuchtet ein, dass dies eine enorm wichtige Aufgabe ist“, sagt Balazs Kerulo. „Ironischerweise wird sie erst dann wichtig, wenn alles andere versagt hat, und selbst dann nur für eine Zehntelsekunde. Daher sind ENDYs auf einer gut funktionierenden HEXA totes Gewicht. Wir brauchten eine Lösung, die das beste Verhältnis zwischen Festigkeit und Gewicht bietet.“

Das Entwicklungsteam entschied von Anfang an, dass die END-Y-Teile additiv hergestellt werden sollten – ebenso wie weit über hundert andere Komponenten des Fluggeräts – und wählte Titan als Druckmaterial, da das Bauteil sehr belastbar sein muss.

Das Team war mit keinem der früheren Entwürfe zufrieden, einschließlich eines Modells, das spanend hergestellt werden konnte. Es ging nun um eine Gewichtsreduktion, ohne die Festigkeit weiter zu beeinträchtigen. Hinzu kam, dass sich das Bauteil während des Drucks immer wieder von der Plattform löste, was zu Fehlern und damit zu Ausschuss führte. So musste der Druck immer wieder von vorne begonnen werden, was erhebliche Verzögerungen mit sich brachte und die durchschnittlichen Kosten pro Bauteil in die Höhe trieb. Eine wie auch immer geartete Lösung sollte auf jeden Fall die Ausschussrate erheblich senken.

LIFT fand die Antwort auf dieses Dilemma, indem sie auf die Expertise von Materialise im Bereich 'Design für die additive Fertigung' setzten. Gemeinsam sollten die Freiheiten des generativen Designs und des 3D-Drucks voll ausgeschöpft werden. Parallel hierzu wurde beschlossen, bestimmte Bauteile noch sicherer auszulegen, als zuvor geplant.

ie ersten Überlegungen gingen dahin, Grundlagentechnologien und neue Fertigungstechnologien zu nutzen, um Design-Iterationen so schnell wie möglich zu realisieren. Aus diesem Grund haben wir das Materialise-Team schon sehr früh einbezogen.

— Balazs Kerulo, Chefingenieur bei LIFT

Ein Mann setzt auf einem Feld einen Helm auf, um an Bord des LIFT-Flugzeugs zu gehen
Das LIFT-Team wollte ein Fluggerät entwickeln, das von jedermann gesteuert werden kann.

Lösung

Die Kombination aus generativem Design und 3D-Druck

Auf der Grundlage der bereitgestellten CAD-Daten führte das Materialise-Team zunächst eine statische Simulation mit der SOLIDWORKS-Software durch. Dies lieferte die Vergleichswerte, die sie für die Neukonstruktion des ENDY mit Siemens NX benötigten.

Zunächst wurde das NX-Topologieoptimierungsmodul verwendet, um den Konstruktionsraum und die Randbedingungen zu definieren, z. B. die Position der Befestigungspunkte, die Kraftangriffspunkte sowie die Richtung und Stärke der Kräfte, denen das Bauteil in der Praxis ausgesetzt ist. Anhand dieser Informationen erstellte die Software ein Bauteilmodell mit visualisierten Kraftflüssen, aus dem die 3D-Druckexperten das neue Bauteil schrittweise durch Freiformmodellierung mit dem NX Realise Shape Tool entwickelten. Einige Iterationen später war das perfekte Design gefunden.

„Der Computer hat auf Anhieb eine wirklich gute Lösung berechnet, die uns gefallen und die funktioniert hat“, so Balazs Kerulo. „Und diese Struktur kann wirklich nur mit 3D-Druck hergestellt werden.“

Der nächste Schritt bestand darin, den Druckprozess mit dem Simulationsmodul von Materialise Magics zu simulieren. Bei Projekten wie diesem ist die Simulation von entscheidender Bedeutung, da das Bauteil und die Materialstruktur gleichzeitig erstellt werden. Dies führt zu einer enormen Anzahl von Variablen, die das Mikrogefüge und damit die Eigenschaften und die Qualität eines additiv gefertigten Teils beeinflussen können. Nach Begutachtung der Ergebnisse, optimierten die Ingenieure die Ausrichtung des Bauteils innerhalb des Bauraums und nahmen einige letzte Verbesserungen an dem Bauteil und seinen Supportstrukturen vor.

Design und der Druckprozess waren bereits getestet worden. Nun musste das Materialise-Team noch prüfen, ob das neu entworfene ENDY-Teil auch die erforderliche Festigkeit aufwies. Hierfür führten sei eine statische Simulation durch, die zeigte, dass das Bauteil allen Belastungen standhalten würde, während außerdem die ersten Drucke alle Längentoleranzen innerhalb der DCTG 8 (Dimensional Casting Tolerance Grade) erfüllten. Darüber hinaus war die Verformung des Bauteils während des Drucks geringer als die des ursprünglichen Entwurfs. Dies galt ebenso für die Eigenspannungen während des Drucks.

„In Zusammenarbeit mit dem Team von Materialise konnten wir die Machbarkeit bestätigen und das Design auf der Grundlage ihrer Empfehlungen feinabstimmen, so dass das Bauteil letztendlich einfacher zu drucken und in Bezug auf den Materialverbrauch wirtschaftlicher ist“, erklärt Balazs Kerulo.

„Auf diese Weise arbeiten wir seitdem mit dem Team zusammen. Wir schicken unsere Bauteile ein und bekommen Feedback, das sehr konstruktiv ist und uns wirklich hilft, unsere Designs zu verbessern. Gemeinsam ist es uns gelungen, dieses Bauteil mit einem Sicherheitsfaktor von 10 zu entwickeln und zu produzieren. Das ist unglaublich hoch.“

Es ist auch unglaublich, dass dieses Fluggerät nach nur 13 Monaten bereits flugbereit war.
Es ist auch unglaublich, dass dieses Fluggerät nach nur 13 Monaten bereits flugbereit war.

Ergebnis

In nur 13 Monaten vom Traum zur Wirklichkeit

Insgesamt wurden die beiden anfänglichen Ziele von LIFT Aircraft – die Verringerung bei Gewicht und Ausschussrate – erreicht, wobei die Ergebnisse die Erwartungen fast noch übertroffen haben. Das endgültige ENDY wiegt etwa 40 % weniger als das Original, nämlich 152 Gramm statt 250 Gramm. Bei sechs ENDY-Teilen in jedem Flugzeug bedeutet dies eine Reduktion von fast 600 Gramm allein in Bezug auf dieses Bauteil. Andererseits konnte das Team die Spannungen in den Supportsstrukturen verringern und stellte auf diese Weise sicher, dass sich das ENDY-Teil beim Druck nicht mehr von den Supports und der Bauplatte löst. Dies führte zu wesentlich weniger Ausschuss aufgrund fehlerhafter Drucke.

Alle Verbesserungen haben dazu beigetragen, dass LIFT in Rekordzeit an den Start ging. In weniger als 13 Monaten konnten Matt Chasen und sein Team ihre neuartige Idee erfolgreich zum ersten bemannten Flug abheben lassen, wobei zusätzlich eine halbautonome Flugsteuerung, ein elektrischer Antrieb, eine Menge Konstruktionsgeschick sowie unternehmerischer Enthusiasmus dazu beigetragen haben, dieses Ziel zu erreichen. Bei allen Aspekten der Bauteilentwicklung und -produktion steht die Sicherheit an erster Stelle.

Zwei Titan-Brackets nebeneinander. Das leichte Bracket mit der Bezeichnung ENDY (links) basiert auf einem generativen Design und hat unregelmäßige Löcher
Das endgültige ENDY-Teil (links) wiegt etwa 40 % weniger als das Original (rechts), nämlich 152 Gramm statt 250 Gramm.

Als eines der allerersten eVTOL-Serienfluggeräte der Welt betritt LIFTs HEXA bereits Neuland. CEO Matt Chasen ist der Ansicht, dass das Unternehmen dank der wertvollen Erfahrungen im Team und der eingesetzten Technologien gut gerüstet ist, um diese Vorreiterrolle zu behaupten.

„Da wir keine Zertifizierungen erhalten müssen, können wir Produktzyklen anstreben, die viel näher an denen des Technologiesektors liegen. Wir streben einen Innovationszyklus von 2 bis 3 Jahren an, anstatt von 20 bis 30 Jahren, wie es in der Luftfahrtindustrie üblich ist. Und der 3D-Druck trägt entscheidend hierzu bei.“

„Mit der additiven Fertigung“, so Matt Chasen weiter, „muss man nicht in riesige Bestellmengen investieren, für die man Gussformen und all die teuren Werkzeuge benötigt, die nur dann sinnvoll sind, wenn man in Stückzahlen von Zehntausenden rechnet. Will man aber nur tausend Stück von etwas herstellen, ist es viel wirtschaftlicher, es in 3D zu drucken. Und es geht auch schneller, sodass wir schneller iterieren und die nächste Version viel früher auf den Markt bringen können.

Matt Chasen fügt abschließend hinzu: „Noch besser: Man kann all dies erreichen und trotzdem auf Sicherheit setzen. Und genau darauf läuft es hinaus. Wir haben eine große Verantwortung. Wir werden die Ersten sein, die ultraleichte Elektrofluggeräte mit Senkrechtstart und -landung als Dienstleistung für die Menschen anbieten. Wir nehmen diese Verantwortung sehr ernst. Dazu zählt auch, dass wir auch die von uns verwendeten Design- und Fertigungstechnologien sehr ernst nehmen.“

Bildnachweis: LIFT


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Dieser Anwenderbericht in ein paar Worten

Branche

Luft- und Raumfahrt

Eingesetzte Lösungen

Generatives Design und 3D-Druck

Warum dieser Ansatz

Gestaltungsfreiheit und Geschwindigkeit ohne Abstriche bei der Sicherheit

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